Hunger
Wer kennt ihn nicht, den Spruch unserer Kindheit: „Denk an die armen Kinder in Afrika. Die würden sich freuen, wenn sie so was Gutes zu essen bekommen würden.“
Ja, das kann ich bestätigen. Ich bin wieder einmal in Kenia bei meinem Hilfsprojekt und vor mir sitzt solch ein Kind. Große Augen, viel zu dünn, viel zu erwachsen. Und irgendwann im Gespräch stellt es mir die Frage: „Stimmt es, dass ihr bei euch in Europa manchmal dreimal täglich esst?“
Ja, manchmal tun wir das. Meistens essen wir aber viermal, fünfmal oder noch öfter. Wir kauen und saugen und lutschen und knabbern im Grunde ständig auf irgendwas herum. Überall gibt es Essen, so billig, dass es nichts mehr Wert ist. Jeder Supermarkt lebt heute nicht von Grundnahrungsmitteln sondern von Snacks. Koch-Shows auf jedem Fernsehkanal.
Und doch – kaum jemand kocht zuhause wirklich täglich für sich und die Kinder. Da werden Verpackungen aufgerissen, Mikrowellen angeworfen oder gleich die Pizza bestellt. Wir sind eine „2Go – Gesellschaft“ geworden.
Und gerade deshalb sind auch wir hungrig. Auch unsere Kinder leiden Hunger. Nicht nur, weil immer mehr von ihnen ohne Frühstück in die Schule gehen, kein Pausenbrot mehr, höchstens einen Energydrink. Unsere Kinder sind hungrig nach Zuwendung, nach Aktivitäten draußen in der wahren Playstation-Zone (Tageslicht verhindert Übergewicht), nach Freunden außerhalb sozialer Netzwerke. Nach einem liebevoll gedeckten Tisch (ja, auch bockige Teenager), vielleicht mal mit Blumen. Und was spricht gegen eine Kerze schon zum Frühstück. Wir alle sind hungrig danach, essen wieder wert zu schätzen, Mahlzeiten zu zelebrieren, ohne sie vorher zu fotografieren und per Smartphone an alle Freunde zu schicken. Wir sind hungrig nach echten Gesprächen, nach Aufgaben, die uns beglücken.
Und ja, wir sind auch hungrig nach gutem Essen. Und gutes Essen hat weder etwas mit Designerfood zu tun noch mit irgendeiner Diät. Gutes Essen hat damit zu tun, dass ich den Ursprung kenne, die Zutaten, die Zubereitung. Und es dann auch im Kreis von Menschen genieße, die mir etwas bedeuten. Auch essen erfordert Hingabe, ein „ganz im Augenblick sein“, denn das ist Wertschätzung.
Wie zynisch ist es, einsamen alten Menschen mediterrane Kost zu empfehlen, viel Fisch, Olivenöl, Salat. Das macht sie nicht weniger einsam.
In Kenia sind die Folgen von Hunger sichtbar, schon Kinder sind energielos, viel zu dünn, können sich nicht konzentrieren oder überhaupt aufraffen, in die Schule zu gehen. Sie sind anfällig für Infektionen, und ja, sie sterben auch.
Und bei uns? Unser Hunger führt zu Diabetes und Herzinfarkt, zu Gelenksproblemen und – ja – zu Übergewicht.
Die wichtigste Botschaft, wenn man abnehmen will, wäre daher: Lerne Essen wieder schätzen, lerne kochen, umgib dich mit netten Menschen und such dir eine Aufgabe, die größer ist als Du.
Und wenn du dann abnimmst, mach es nach dem Motto: „Mein Übergewicht für Afrika“ und gib von jedem abgenommen Kilo 5 Euro in ein Hilfsprojekt. Denn – „die Kinder in Afrika würden sich freuen, wenn sie so was Gutes zum Essen bekommen würden.“
Dies ist ein Gastbeitrag zu einem demnächst erscheinenden Buch zum Thema „Abnehmen“ von meiner lieben Kollegin Silke Schröer