Fasten ist auch Loslassen

SehnsuchtManche Dinge ziehen sich ja durch ein Leben wie ein roter Faden, prägen einen Menschen, verfolgen ihn manchmal auch. Bei mir ist es wohl, ständig in zwei Welten zu leben und das Gefühl Sehnsucht dabei sehr gut kennen gelernt zu haben. Hätte ich da nicht frühzeitig ein Gegenmittel entwickelt, wäre ich wohl schon verrückt geworden.

Aufgewachsen bei meinen  Großeltern am Bauernhof kam ich mit Schulbeginn, also mit 6 Jahren, zu meinen Eltern in die Großstadt. (Wahrscheinlich hab ich deshalb das Buch „Heidi“ immer so gern gehabt.) Heimweh war viele Jahre mein ständiger Begleiter.

Mit 16 lernte ich meinen späteren ersten Mann kennen, einen Wiener. Fortan pendelte ich bis zum Ende der Schulzeit zwischen Wien und Kassel, übersiedelte gleich nach der Schule und hatte fortan immer mal wieder das Gefühl, in keiner Welt ganz zuhause zu sein. Und heute lebe ich viele Monate in Wien, daneben aber zweimal im Jahr längere Zeit in Kenia. Wenn ich in Wien bin, hab ich unglaubliche Sehnsucht nach Kenia, bin ich dort, vermisse ich ganz oft vor allem meine Kinder, Enkelkinder, meinen Mann.

Und dann erinnere ich mich an einen Satz meiner Oma, wenn ich wieder mal als Kind gewünscht habe, die Zeit möge schneller vergehen, wenn doch schon Weihnachten wäre oder Ferien oder Geburtstag. Meine Oma meinte dann immer: „Lass das, du wünscht dir dein Leben weg.“

Achtsamkeit

Heute sagen Philosophen und Achtsamkeitstrainer dazu, man solle im hier und jetzt leben, und die meisten Menschen fragen sich (offen den Trainer fragen, traut man sich ja nicht, gilt man doch gleich als nicht erleuchtet), was denn damit gemeint sein könnte. Nun, ich denke, es hat viel damit zu tun, sich nicht ständig in die Zukunft zu beamen (oder in die Vergangenheit). Natürlich buche ich rechtzeitig meinen nächsten Flug. Aber dann – lasse ich los. Lebe in Wien, lebe den heutigen Tag, plane nicht, was ich dann alles tun werde. Ich leide nicht mehr, weil ich weiß, ich hab es ja bald wieder. Und empfinde es heute als großes Privileg, dass ich so perfekt in zwei Welten leben darf. Und gehe achtsam damit um.

Was das mit Fasten zu tun hat? (Oder auch mit einer Diät, die man sich vorgenommen hat?) Auch hier geht es ums Loslassen, körperlich und mental. Wer schon zu Beginn nur daran denkt, hoffentlich bin ich bald auf der anderen Seite und darf alles wieder essen, der wird leiden. Ich nenne dies „funktionelles Fasten“, schnell, schnell fertig, und hoffentlich fünf Kilo weg. Aber – keine einzige Speise verlässt diesen Planeten, alles ist noch da, wenn ich wieder zurück bin. Warum also nicht genießen, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, eine besondere Erfahrung zu machen.

Aber auch ohne Fasten, achtsam im hier und jetzt kann in Bezug auf Essen auch heißen, dass ich mich, bevor ich mit der Gabel in den Teller stochere, sammele, mir vorstelle, wer war alles beteiligt, dass ich so ein gutes Essen bekommen habe. Wo kommt es her, wer hat es zubereitet, wo sind die Pflanzen gewachsen? Beten vor dem Essen ist so eine Achtsamkeitsübung, wenn wir es denn nicht einfach nur so herunter ratschen. Für alle, die mit Religion nichts am Hut haben, einfach mal zu Beginn einer Mahlzeit Danke sagen programmiert einen oft schon auf die Gegenwart.

Und beim Fasten funktioniert auch immer etwas, was wir sonst schon sehr oft verlernt haben: Bewusstes Essen funktioniert nur, wenn ich dabei nicht am Handy herum spiele und 100 andere Sachen mache. Komisch, dass man erst etwas verknappen muss, damit man es so wertschätzen lernt, dass man sich ihm voll widmet.

Ich freue mich darauf, im Kurs Fastenbegleiter ganz achtsam mit euch zu sein.