Vitamin D für jeden?
Als großer Fan von Nahrungsergänzung mag es seltsam erscheinen, dass ausgerechnet ich jetzt dagegen sein soll, wenn plötzlich alle daher kommen mit – „meine Vitamin D-Speicher sind gaaaanz leer, ich brauche jetzt hochdosiert Tabletten, um sie wieder aufzufüllen.“ – Vitamin D, das neue Wundermittel gegen alles, von Depression bis Fußpilz. Und immer, wenn ich so was höre, bin ich berufsbedingt erstmal misstrauisch. Wie genau hat die Menschheit bisher überlebt? Ich denke, viele würden nicht so hysterisch nach einer „Stoßtherapie“ rufen, wenn man das Ganze richtigerweise Hormon D nennen würde. Schlucken wir doch mal schnell ein paar Hormone.
„Vitamin“ D ist eigentlich kein echtes Vitamin – dann könnte der Körper es nämlich nicht selbst erzeugen. Kann er aber. Gut sogar. Man muss nur täglich mal die Nase in die Luft halten, nicht vermummt, sondern auch mal Gesicht, Hals, Arme frei (ja, geht auch im Winter), auch nicht bei jedem Mini-Sonnenstrahl gleich mit hohem Lichtschutzfaktor cremen, dann macht unser Körper das in genau der richtigen Menge. Was man noch braucht – Fett. Genauer, Cholesterin. Ja richtig, das böse. Und eine intakte Niere wäre auch gut, denn dort wird aus der Vorstufe dann das eigentliche Hormon.
Klar, dass es auf dem Weg dahin Schwachstellen gibt. Damit unsere Kinder optimal versorgt sind, müsste man sie mal vom Computer wegzerren und an die Luft scheuchen. Und uns selbst gleich dazu. Auch rund um die Uhr fettarm kann hier kontraproduktiv sein, denn selbst als Nahrungsergänzung braucht es Fett, damit die Substanz auch in der Zelle ankommt.
Alle Studien, die bei diversen Krankheiten einen niedrigen – nennen wir es also Vitamin – D-Mangel feststellen, schließen immer daraus, dass genau das der Auslöser war. Was, wenn genau umgekehrt? Wenn gesunde Menschen, die sich viel an der frischen Luft bewegen und gesunde Fette zu sich nehmen, einfach auch hohe Vitamin-D-Spiegel im Blut hätten?
Ungesunde Lebensweise mit Pillen zu belohnen ist in meinen Augen ungefähr so intelligent wie Menschen zu bestätigen, mehr Zucker zu essen, und ihnen dann Insulin-Tabletten zu verkaufen
Es gibt aber sehr wohl eine Risikogruppe oder eigentlich mehrere. Menschen, die nicht oft genug hinaus können. Alte Menschen zum Beispiel. In Seniorenheimen , wo aus lauter Personalmangel niemand mehr die Zeit hat, jemanden im Rollstuhl vor die Tür zu schieben. Auch Personen aus südlichen Ländern mit dunklerer Haut haben ein Problem, wenn sie in unsere trüben Winter kommen. Und vollverschleiert ebenfalls.
Und hier nun habe ich einen Verdacht, der auch dadurch geschürt wird, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die normalerweise ständig bei allem auf der Bremse steht, plötzlich einen neuen erhöhten Wert für Vitamin D festlegt. Könnte es sein, dass es gar nicht darum geht, dass wir alle einen Mangel haben und man uns nur sagen müsste, geh auch bei Regen und Schnee einfach mal ums Haus?
Sondern dass man mit einer höheren Empfehlung einfach neue Zielgruppen bedient? Und den Pflegenotstand so wieder akzeptabel macht.
Ich bin zwar – siehe oben – ein Befürworter von Nahrungsergänzung, nicht aber von hohen Einzeldosen. Schon gar nicht aus der Hand von Laien. Gibt man von einem Nährstoff plötzlich viel, entgleist oft das ganze System. Man braucht auch mehr Vitamin K2, mehr Kalzium, von anderen Dingen vielleicht weniger.
In vielen guten „every day Produkten“ ist Vitamin D inkludiert. In einer geringen Menge, abgestimmt mit allen anderen Nährstoffen. Und der Rest – bei jedem Wetter vor die Tür bitte. Damit die wirklich Kranken dann nicht irgendwann als hysterisch abgetan werden und tatsächlich Hilfe vom Arzt erhalten. Auch gern als Stoßtherapie.