Volksmedizin
Für viele Menschen beginnt die Geschichte der Medizin erst vor ungefähr hundert Jahren. Man denkt an die großen Entdeckungen, Herztransplantation und Narkose, Kindbettfieber und Bakterien, Penicillin und Röntgenapparat. Das alles ist spannend, teilweise spannender als jeder Krimi, und jedem, der sich mehr damit beschäftigen möchte, empfehle ich unbedingt Jürgen Thorwald, „Das Jahrhundert der Chirurgen“ und das Weltreich der Chirurgen“ sowie Kruif, „Mikrobenjäger“, leider alle nur noch antiquarisch erhältlich.
Unsere wirklichen Wurzeln aber reichen tiefer, bis nach Griechenland und Ägypten, zurück zu Hippokrates und Avicenna, zur Klostermedizin und zu Paracelsus. Vor allem aber zur Säftelehre des Galenus.
Wenn wir davon heute hören, dann tun wir das oft als Humbug ab, als mittelalterliche schwarze Magie oder Aberglauben. Wer macht heute schon noch einen Aderlass und spricht von schwarzer Galle? Dabei würde dieses Wissen jedem Schulmediziner dabei helfen zu entscheiden, ob eine Entzündung mit Kortison bekämpft werden sollte oder dies die Krankheit eher verschlimmert, und selbst bei der Frage, kalte oder warme Wickel benötigt man im Grunde dieses alte Wissen.
Und ist es nicht bezeichnend, dass sich viele bereitwillig nach Asien orientieren, zur Traditionellen chinesischen Medizin (die ich selbst sehr schätze) oder zur Ayurvedatherapie, von ihren eigenen Traditionen aber nichts wissen wollen? Aderlass ist ja für sich genommen um nichts exotischer als Akupunktur. Einer der Gründe ist sicher, dass unsere eigene traditionelle Medizin sehr verwoben ist mit dem Christentum und daher viele glauben, dies sei nichts für sie. Dabei vergessen viele, dass ohne die vielen Jahrhunderte der Klöster eine moderne Medizin heute nicht denkbar wäre, auch keine Pharmazie und schon gar keine Pflanzenheilkunde.
Gleichgültig in welchem Teil der Welt wir uns befinden und gleichgültig auch in welcher Zeit war für eine ländlich arme Bevölkerung ein Arzt, wenn es denn überhaupt einen solchen gab, meistens nicht zu erreichen oder einfach nicht erschwinglich. Stellen Sie sich selbst doch einfach mal vor, unser Gesundheitssystem würde nicht nach dem Umverteilungsprinzip funktionieren, also so, dass man Ihnen zuerst über die Sozialversicherungsbeiträge etwas wegnimmt, um dann damit Ihre Arztrechnung zu bezahlen, sondern Sie müssten den Arzt direkt bezahlen, also eventuell etwas monatlich ansparen. Und nicht nur den Arzt, sondern auch das Röntgen, die MR, die Blutabnahme usw. Ich selbst habe mich vor ein paar Tagen erkundigt, was denn eine MR-Untersuchung kosten würde, wenn ich sie selbst zahlen würde, weil mir die Wartezeit einfach zu lang erschien – Euro 300,- pro Körperregion, keine Kassenrückerstattung. Und jetzt überlegen Sie, würden Sie das machen lassen? Zahlen? Ansparen? Auch wenn dazwischen gerade das Auto kaputt gegangen ist oder die Heiztherme? Oder würden Sie sich stattdessen mehr mit dem Thema Vorbeugung beschäftigen, sich etwas genauer beobachten, Tee trinken, Bewegung, andere Ernährung?
Volksmedizin ist aus genau dieser Situation entstanden, und meine persönliche Meinung ist, dass wir auf dem Weg zurück dorthin sind. Oder anders ausgedrückt: Die Gesundheitsversorgung von Mensch und Tier basierte Jahrhunderte lang auf Heilkundigen der Gegend und dem Wissen, das innerhalb der Familie von Generation zu Generation weiter gegeben wurde. Noch ich selbst hatte während meiner gesamten Kindheit (auf einem Bauernhof am Land mit einer Großmutter, die viel von diesem Wissen hatte) kein einziges Mal einen Arzt zu Gesicht bekommen. Mein erstes Erlebnis dieser Art war mit 13 meiner erster Besuch bei einem Frauenarzt und auch das nur, weil meine Mutter darauf bestanden hat.
Diese Heilkundigen – Kräuterfrauen, Hirten, Bader usw. – erlernten ihr Wissen nicht in einer akademischen Ausbildung, sondern durch Überlieferung und eigene Erfahrung, vor allem aber durch die genaue Beobachtung der Natur und der Erkenntnis, dass der Mensch nur ein Teil dieser Natur ist, nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten funktioniert und dass sich daher alle Beobachtungen der Natur auch auf ihn anwenden lassen. Und immer ging es dabei um ein Fließen, um Harmonie und Ausgleich, um Rhythmus und Gegensätze.
Dieser Text ist übrigens Teil eines Moduls aus dem Studium „Dipl. Gesundheitscoach/Energethiker“.